Faszination Wueste
Einen Monat bleibe ich bei Freunden in Long Beach haengen, geniesse es ein festes Danch ueber dem Kopf zu haben und nicht jeden Morgen meine Sachen packen zu muessen. Doch dann wird der Ruf der Strasse wieder zu gross, ich sehne mich nach der Freiheit, welche auf der Strasse, hin zum endlos weiten Horizont zu finden ist.Auf dem Weg in den Joshua Tree mache ich Halt in Morongo Valley, wo ich Liliana und Emil Schmid treffe. Seit 17 Jahren touren die beiden Schweizer mit ihrem Toyota Landcruiser durch die Welt. Kennengelernt haben wir uns 1994 in Pakistan und nun bekam ich von ihnen in Los Angeles E-mail-Nachricht, dass sie derzeit ganz in der Naehe fuer ein paar Wochen ein Haus hueten. Anfaenglich wollten die beiden fuer ein Jahr aussteigen. Einmal draussen in der grossen, weiten Welt, wurden sie dann aber erst recht vom Reisevirus befallen und so sind sie noch heute unterwegs. Als ehemaliger Buchhalter fuehrt Emil noch immer ueber alles genau Buch und mit einem einzigen Mausklick bekommt man eine ganze Liste interessanter Zahlen. So haben die beiden auf ihrer bisher 17 Jahre dauernden Reise 552559 Kilometer zurueckgelegt, dabei 134 verschiedenen Laender besucht, mussten 66 mal ein Visum beantragen und haben damit 7 Paesse gefuellt. Seit 1997 sind die beiden, unter die laengste Reise mit dem Auto, auch im Guinness Buch der Rekorde zu finden. Noch nie hat vor ihnen jemand soviele Laender mit dem gleichen Fahrzeug bereist, und es kommen noch immer mehr dazu, denn ein Ende der Reise ist fuer die beiden nicht absehbar.
Die Temperaturen duerften nur knapp ueber dem Gefrierpunkt liegen. Schuld daran ist ein bissiger Wind aus Nordwest, welcher saemtliche Sonnenwaerme in sich verschluckt. Zielstrebig zieht sich das Asphaltband dem Horizont entgegen und die Kaelte laesst meine Finger in den duennen Sommerhandschuhen langsam klamm werden. Rechts und links erstreckt sich flach eine sandige Wueste, durchsetzt mit niederem, trockenem Buschwerk. Eine Augenweide sind die Joshuabaeume mit ihrer sonderbaren Form. Ihre Krone ist nicht ein sich immer wieder verzweigendes, wildes Durcheinander von Aesten und Zweigen, sondern sind es einzig ein paar dicke Hauptaeste, deren Ende, die letztjaehrigen, noch immer gruenen Trieben, mit ihren abstehenden stachelspitzigen Blaettern bilden, die deren einzigartigen Silhouetten zeichnen. Ich bin schon etwas ueberrascht, als ich den ersten Gratis-Zeltplatz ansteure und diesen trotz den winterlichen Temperaturen vollbelegt vorfinde. Mit ein Grund dafuer ist sicherlich das unmittelbar bevorstehende Wochenende, mit seinen arbeitsgestressten Erholungssuchenden. Mehrheitlich sind es aber die Kletterer, fuer die, der Joshua Tree Nationalpark im Winter zum Mekka wird, wo man Gleichgesinnte trifft und oft monatelang haengen bleibt. Die zahllosen riesigen Granitmonolithe in dieser Gegend bieten eine Vielfalt von Kletterouten in allen Schwierigkeitsgraden und die Temperaturen bewegen sich, im Vergleich mit anderen Staaten der USA, noch immer in den angenehmeren Bereichen. Betrachtet man ihre alten VW-Busse und verrosteten Pickups, fuehlt man sich zurueckversetzt in den Flower Power der 60er-Jahre, eine grosse verschworene Gemeinschaft. Die meisten von ihnen schlagen sich mit irgendwelchen Gelegenheitsjobs durchs Leben und wann immer das Geld fuer ein paar Wochen oder Monate reicht, haengen sie wieder irgendwo aus.
Seit ich vor 15 Jahren ein erstesmal in die Wueste gereist war, hat mich deren Faszination nie mehr losgelassen. Immer wieder hat es mich in diese grenzenlos scheinenden Einoeden zurueckgezogen, wo man noch die absolute Stille erfahren kann und wohl kein anderer Ort vermag mir mehr das Gefuehl von Freiheit und Ungebundensein vermitteln. Solange man nur durch die Wueste faehrt, mag es zutreffen, dass diese oede und leblos erscheint. Nimmt man sich aber die Zeit, innezuhalten, entdeckt man poetzlich, welche Vielfalt es hier gibt. Ein in sich geschlossenes Oekosystem, jedes Individum in seiner Art ein Ueberlebenskuenstler, ein eigenes kleines Wunder und wertvolle Lebensschule. Nur durch gegenseitges Geben und Nehmen hat man hier eine Chance zu ueberleben und man darf sich nicht gegen die Wueste stellen, sondern man muss bereit sein, sich ihr anzupassen.
Immer auch wieder ein ganz besonderes Erlebnis, eine Wuestennacht unter dem klaren Himmelszelt, wo die Sterne zum Greifen nah und mir deren Anzahl um ein x-faches groesser erscheint, als anderswo auf dieser Welt.
Als kreisrunde Scheibe haengt der Vollmond am naechtlichen Himmel. Im hellen Mondschein erscheint die Wueste wie eine Maerchenlandschaft, silbern glaenzend. Geheimnisvoll und fremdartig die Silhouette eines Joshuabaumes und irgendwo in der Ferne ist das Heulen eines Koyoten zu vernehmen. Der Zauber einer Wuestennacht, trotz eisigen Temperaturen, ein unbezahlbares Gluecksgefuehl.
Kurz vor Needles treffe ich dann auf die vierspurige Interstate 40, welche mich wenig spaeter ueber den Colorado Fluss nach Arizona bringt. Beim ersten Exit fahre ich runter von der Interstate und folge den Wegweisern zur Route 66. Auf dieser legendaeren Strasse konnte man frueher quer durch ganz Amerika fahren, von Chicago bis nach Los Angeles. Doch diese Zeiten sind vorbei. Vielerorts musste die Route 66 einem vielspurigen Freeway weichen. In Arizona findet man noch eines der laengsten Teilstuecke der originalen Route 66, die Strecke zwischen Topock und Williams.
Die Geschichte der Route 66 in Arizona reicht zurueck bis zu den Handelspfaden der Indianer. Diesen ausgetretenen Wegen folgten spaeter die ersten weissen Siedler, auf ihrem Weg in den Westen, die ersten noch zu Fuss, dann mit Pferd und Wagen und schliesslich hielt auch hier das Autozeitalter Einzug. Der Weg wurde laufend den steigenden Beduerfnissen angepasst und wandelte sich so vom Fusspfad zum Karrweg und schliesslich in eine richtige Strasse. 1926 bekam diese, damals in Arizona noch ein Staub- und Schotterweg, offiziell die Route 66.
Nach der doch ziemlich geschaeftigen Interstate 40 komme ich mir nun fast etwas verlassen vor. Ich schlage ein gemaechliches Tempo an, um Zeit zu haben, die vorueberziehende Landschaft zu betrachten. Die Wueste sieht auch hier nicht anders aus, als jene gestern oder die von vorgestern. Doch fuer einen, in kleinen Dimensionen denkenden, Mitteleuropaeer wie mich, haben diese scheinbar endlosen Weiten immer wieder etwas beglueckendes in sich. Dann wieder tippt die Strasse in ein Trockenflussbett hinunter und fuehrt mich allmaehlich hinein in die Black Mountains. Im fruehen 20. Jahrhundert war Oatman ein lebhaftes Bergbauzentrum und spaeter auch wichtige Zwischenstation der Reisenden auf Route 66. Die Gegend hier galt einst als der goldreichste Bezirk Arizonas. Doch in den 30er-Jahren versiegten allmaehlich die Goldquellen, die letzte Mine wurde 1942 geschlossen und 1953 wurde die Linienfuehrung der Route 66 ueber Yucca verlegt. Oatman verkam in der Folge zu einer Geisterstadt. Erst mit dem Wiederaufleben der Route 66 und dem damit verbundenen Touristenstrom kam auch das Leben nach Oatman zurueck. Man rechnet heute mit jaehrlich etwa 500000 Besuchern. Die Esel die frueher hart fuer ihr Fressen in den Minen arbeiten mussten, patroullieren heute die Hauptstrasse, posieren fuer Fotos und werden dafuer von den Touristen mit Karotten belohnt. Es kann auch passieren, dass man in Oatman, wie in seinen wilden Jahren damals, mitten in eine Schiesserei geraet. Solche Wildwestszenen dienen heute aber vorallem dem Unterhaltungswert fuer die Touristen. Ich schwinge mich schliesslich wieder in den Sattel meiner Yamaha und komme kurz vor Kingman wieder in eine flachegestreckte Welt.
Scheu zuengeln ein paar letzte Flaemmchen. Die Glut strahlt eine wohltuende Waerme aus, waehrend mir die Wuestennacht ihre Kaelte in den Ruecken drueckt. Absolute Stille umgibt mich und ueber mir, Milliarden von kleinen Lichtpunkten, die die Landschaft in ein sanftes Licht tauchen. Nicht anders mag es ein Reisender von hundert Jahren hier genau gleich erlebt haben. Doch mit der Romantik von heute duerfte es damals wenig gemein gehabt haben. Die Hoffnungen die man in das unbekannte Amerika gesetzt hatte, waren bis heute ein Traum geblieben. Wenn man Glueck hatte, konnte man eine zeitlang als Tagloehner sein Brot verdienen, dann wieder eine Zeit, wo man nicht wusste, wie es weitergehen sollte. Nun hatte man gehoert, von diesem vielversprechenden Land weiter im Westen, wo es fuer jedermann genuegend Land geben soll, fruchtbares Land. Also hatte man sich wieder auf die Reise begeben, eine Reise voller Strapazen und Entbehrungen. Die Essensvorraete waren knapp bemessen, der Durst ein staendiger Begleiter und dazu noch immer dieses Ungewisse von morgen. Man konnte sich ja nicht mal sicher sei, ob man es am Ende ueberhaupt schaffen wuerde, denn die Wueste war unverzeihlich. Jede Fehlentscheidung konnte das Ende bedeuten und der Weg fuehrte immer auch wieder durch Indianerland.
In Williams kommt meine Reise auf der Route 66 an ein Ende. Eine Ansammlung alter Gebaeude bildet das Zentrum dieses kleinen Staedchens, welches im nationalen Register fuer geschichtswuerdige Orte aufgefuehrt ist.
Der Grand Canyon ist einer jener Orte, wo ich mit hohen Erwartungen angereist kam und dann uebertrifft die Realitaet selbst meine kuehnsten Vorstellungen. Was fuer ein grossartiger Ort! Da stoert mich nicht mal mehr der nie zu versiegen scheinende Strom von Touristen. Fuenf Millionen schaetzt man deren Zahl pro Jahr. Immer wieder lasse ich meinen Blick ueber diese fantastischen Canyonwelt schweifen, mit seiner Vielfalt an Formen und Farben. Es gibt wohl keinen grossartigeren Kuenstler, als die Natur selbst. Geologen glauben, dass die Erosion sechs Millionen Jahre gebraucht hat, um diese Meisterstueck der Bildhauerei zu schaffen. Das Ganze wirkt noch eindruecklicher, wenn in den fruehen Morgen- und Abendstunden die Natur ihr spektakulaeres Licht-Schattenspiel auffuehrt. Der Canyon ist knapp 450 Kilometer lang, erstreckt sich von Lees Ferry bis Grand Wash Cliffs. In den verschiedenen Gesteinschichten finden Geologen Geschichte, die bis 1800 Millionen Jahre zurueckgeht.
Die Hopi Indianer, die im Gebiet oestlich vom Grand Canyon siedeln, glauben, dass ihre Vorfahren einst aus dem Canyon auftauchten und noch heute ihr Geist darin ruht.
Ein im Zickzack verlaufender, steiniger Tramelpfad fuehrt mich allmaehlich hinunter in den Canyon, mit tollen Ausblicken und jeder Menge anderer Touristen. Die morgendliche Kuehle ist schnell verflogen, die Luft heizt sich auf, wie in einem Backofen. Unterwegs komme ich beim Indian Garden vorbei, eine kleine Oase, in der sonst so lebensfeindlich scheinenden, trockenen Umgebung. Lebendig sprudelt ein Baechlein dem Colorado River entgegen, die Aspen zeigen erstes fruehlingsgruen und die Redbuds-Straeucher strahlen in ihrem rosavioletten Bluetenkleid. Nach drei Stunden bin ich unten am Plateau Point, geniesse den Ausblick auf den Colorado River, der noch immer so unendlich weit entfernt scheint.
Der ryhtmische Vierertakt meiner Yamaha durchschneidet die Stille der Wueste, in der sich nichts zu regen scheint und ich komme mir vor wie Peter Fonda oder Dennis Hopper im Film Easy Rider, die auf einsamer Landstrasse dem weiten blauen Horizont entgegen steuern. Ich komme gerade aus dem Monument Valley, eine Landschaft, wie man sie aus zahllosen Wildwestfilmen kennt, eine lachsfarbene Halbwueste mit Tafelbergen und nadelfoermigen Felsmonumenten. Mein naechstes Ziel ist Utahs Grand Circle. Unterwegs begegne ich ein paar Cowboys, die Rinder in einen Lastwagen verladen. "Die Tiere werden sich freuen", erzaehlt mir Ron, welcher, zusammen mit seinem Bruder Edward, die knapp 1000 km2 grosse Farm betreibt. "Die Rinder wurden auf eine Farm in Colorado verkauft und dort werden sie saftiges Gruen vorfinden." Jeff, einer ihrer Angestellten, indianischer Abstammung, arbeitet schon 42 Jahre auf dieser Ranch und mit steht mit seinen 76 Jahren noch immer voll im Cowboyalltag.
In den 50er-Jahren war Moab ein boomendes Zentrum der umliegenden Uranium-Minen, heute sind es die Touristen, die diesen ziemlich freakigen Ort und Mekka fuer Mountainbiker und Offroader, am Leben erhalten. Problemlos kann man sich hier fuer Wochen, wenn nicht Monate auf verwegenen Pisten und Pfaden austoben und bekommt dabei nicht nur fahrerisch hochstehendes geboten, sondern auch landschaftlich voll auf seine Kosten.
Lohnenswert sicherlich von hier aus auch ein Abstecher in den Arches Nationalpark. Die ganz speziellen Landschaftsformen, auf die man in diesem Nationalpark trifft, werden einem unterirdischen Salzbett zugeschrieben, welches stellenweise mehrere tausend Meter dick sein soll. Dieses blieb zurueck, als die Gegend vor etwa 300 Millionen Jahren von einem Meer ueberflutet wurde, welches schliesslich wieder verdunstete. Unter grossem Druck ist Salz verformbar und so wurden Felsschichten zu Kuppeln und Waenden aufgetuermt, andere sackten ab in Hohlraeume. Dazu kam die Erosin von Wind, Wasser und extremen Temperaturen, die ebenfalls ihren Teil zur Gestaltung dieser einzigartigen Landschaft beigetragen hat; senkrecht in den Himmel ragende Sandsteinwaende, balancierende Felsbloecke, zerfressene Monolithe und nadelfoermige Tuerme. In erster Linie sind es aber die natuerlichen Felsboegen und -bruecken, genannt Arches, die das Interesse der Besucher auf sich ziehen. Ueber 2000 Arches wurden in diesem Nationalpark inventarisiert.
Welch ein fantastischer Anblick, einer dieser Momente, die sich unausloeschlich ins Album der Erinnerungen eintragen, als ich nach einem fast stuendigen Aufstieg, laengst erwartet und doch ueberraschend, vor der Delicate Arch stehe, die perfekt geformt und einsam am Rande eines Canyon ruht und die weiss gepuderte El Sal Bergkette ueberblickt.
Als ich ein paar Tage spaeter, oben auf dem Colorado Plateau, im Canyonland Nationalpark stehe, liegt zu meinen Fuessen landschaftlich eine ganz andere Welt. Immer wieder lasse ich meinen Blick ueber ein etwa 400 Meter tiefer gelegenes, weites, von der Erosin zerfressenes und zernarbtes Plateau schweifen. Dunkle Schatten vorueberziehender Wolkenschiffe segeln langsam darueber hinweg. Nochmals ein paar hundert Meter tiefer schlaengelt sich traege der Green River, durch seine, von ihm selber geschaffene, wild zerkueftete Schlucht und in der ferne sind ein paar Tafelberge auszumachen.
Kurz vor Green River trifft die 191 auf die Interstate 70 und nur wenige Kilometer spaeter wechsle ich auf die fast verkehrslose 24, die mich durch eine halbwuestenaehnliche Landschaft, mit steifem und kratzigem Buschwerk, wieder nach Sueden fuehrt. Durch den Capitol Reef Nationalpark begleitet mich ein Stueck weit der Fermont Fluss. Ploetzlich gibts wieder gruen in der Landschaft, welch ein Kontrast zum Braunrot der aufragenden Felswaende. Als ich bei Torrey auf die 12 nach Sueden ueberwechsle, fuehrt mich diese hinauf in die bewaldete Aquarius Hochebene und bringt mich ueber Boulder und Escalante in den Bryce Canyon Nationalpark.
Der Bryce Canyon ist in dem Sinne keine Schlucht, sondern der oestliche Abbruch der Paunsaguat Hochebene. Hier hat die Erosion eine fantastische Maerchenwelt entstehen lassen. Tausende detailiert geschaffener, feiner Felssaeulen, sogenannte Hoodoos, jede in einer individuellen Form geschnitzt. Ein Spaziergang in den Canyon, ist wie eine Reise durch eine Maerchenwelt. Man braucht nicht viel Fantasie und man entdeckt Schloesser und Burgen oder trifft auf Schneewittchen mit ihren sieben Zwergen, die Bremer Stadtmusikanten, Ali Baba und seine ganze Raeuberschar, die Simpsons und viele mehr. Die Paiutes Indianer, die einst in dieser Gegend heimisch waren, glaubten, dass es sich bei diesen Hoodoos um Menschen handle, die von erbosten Goettern zu Stein verwandelt wurden.