Rad wech: chinesischer Drache wird zu französischer Biene

Also, bin ich angekommen in Europa. Paris. Hat mich gleich wunderbar schmerzhaft in die Arme genommen, ordentlich zugedrueckt und mir in wenigen Tagen klar gemacht, dass die Uhren und werweisswassonstnochalles ab jetzt wieder anders ticken.
Die Kaelte und eine Fieberattacke mit anschliessendem 6-stuendigen Krankenhausaufenthalt konnten mir noch nix anhaben, auch wenn die Prozedur der Blutabnahme bei mir ueblicherweise den Verlust des Bewusstseins, dieses Mal aber nur der Gesichtfarbe nach sich zog. Resultat: Sterben muss ich noch nicht, Malariatest negativ. War mir eh klar aber Sandrine, die ich noch aus fruehen Studententagen kenne und deren Couch ich fuer ein paar Tage mein Zuhause nennen durfte, hatte darauf bestanden dass ich mich checken lass. Mit ihrer moralischen und übersetzer-unterstützung und den netten franzoesischen Schwestern und Doktorinnen war das Ganze sogar ganz lustig - auch wenn ich am meisten ueber mich selber und meine Spritzenphobie feixen musste. Das Lachen ist mir aber ein paar Tage spaeter wirklich fast vergangen...

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Pariser Klassiker

... denn obiges Bild bot sich mir auch und zwar noch extremer. Am letzten Abend in Paris traf ich mich nochmal mit Torben und Barbara, die zufaellig auch gerade dieses Wochenende hier waren. Das war natuerlich ein gluecklicher Zufall, denn so konnte ich ihnen meine fast 10kg schwere Motorradkiste mitgeben, die ich ja Aurelie im August in Kirgistan mit auf die Heimreise gegeben hatte. Auf dem Fahrrad haetten die sich im Schweizer Huegelland sicher negativ ausgewirkt... Anyway, wir haben gut gegessen und geratscht und uns um ca. 11 Uhr verabschieded um nach Hause zu gehen. Die beiden verschwanden in der Metro und ich wendete mich meinem Fahrrad zu.
Hehee...Fahrrad!

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Torben und Barbara in einem Kaffee im jüdischen Viertel von Paris

Manchmal parkt man ja sein Fahrzeug nochmal um, kommt zurück zum alten, leeren Parkplatz und erholt sich nach der ersten Schrecksekunde wenn man sich an den aktuellen Standort erinnert. So auch meine Hoffnung im ersten Moment. In der zweiten (Sekunde) war mir aber klar:
Dat Ding is WECH. Grande Merde!!!
Da, wo ich nämlich vor zwei Stunden meinen roten chinesischen Drachenflitzer hingestellt hatte, war nur noch dessen aufgebrochenes Schloss zu finden. Der anschliessende Besuch bei der Polizei fiel denn auch ernuechternd aus. Auf die Frage wo ich denn jetzt ein guenstiges Fahrrad herbekomme meinte die fuer mich zuständige Polizistin ich solle mir doch wieder eins stehlen. Die mit einem Laecheln ausgeteilte Ironie schien mir aber nicht ganz hundertprotzentig. So entging meiner Aufmerksamkeit für die folgenden Tage kaum ein Fahrrad, besonders kein Rotes, und auch nicht die Tatsache, dass eigentlich alles von geringstem Wert mit massiven Buegelschloessern von wahrscheinlich hoeherem Wert gesichert ist.

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Letztes Bild mit dem roten Drachen

Den Versuchungen mir ein neues Fahrrad ohne den Einsatz finanzieller Mittel zu organisieren wiederstehend, kam ich dem ersten Tipp fuer gebrauchte Raeder folgend am naechsten morgen bei den verrückten Schraubern von 'Cyclopede' vorbei. Die hatten zwar nur Rennraeder da, aber ich wollte mir sowieso früher oder später eins zulegen und die Strassen in Europa sind ja auch so gut, dass man ohne Probleme mit den dünnen Reifen fahren kann. (Und zwar um einiges effizienter).
Aber die Raeder bei Cyclopede waren nochmal was ganz Besonderes. Naemlich mit starrer Nabe, fixed gear auf Neudeutsch. D.h. die Dinger haben nur einen Gang, keinen Leerlauf und so kann man durch Entgegenhalten der Pedale die Fahrtgeschwindigkeit verlangsamen, notfalls das Hinterrad auch blokieren. Deswegen sind die Jungs der Meinung man brauche eh KEINE BREMSEN!! und versuchten mich von dem Konzept zu überzeugen. Ich muss zugeben, das Rad ist echt leicht und hat Nullkommanull nicht unbedingt zur Fortbewegung notwendige Teile. Und das Fahrgefühl ist ziemlich geil, vor allem wenn man sich daran gewöhnt hat nie zum Treten aufhoeren zu koennen. Ich bin ja in ganz jungen Jahren mal Bahnrad gefahren, und kannte daher das Konzept und wie man es fährt. Aber dass es mittlerweile in den grossen Staedten der Welt eine Szene gibt, die diese Radraketen mit reduzierter Bremsleistung (das Vorderrad wird ja zur Verzögerung nicht benutzt) durch den krassesten Stadtverkehr (San Francisco, London, LA, Paris, Berlin und wohl auch München) zu jagen, das war mir unbekannt. Aber verrückte Ideen find ich ja von jeher reizvoll und hatte somit schon fast den Erwerb eines solchen Rades erwogen. Abgehalten hat mich schlussendlich die Umständlichkeit mein doch recht schweres Gepäck (jetzt wieder mit Zelt und vor allem 100m Halbseil - gabs grad im Sonderangebot :) auf einem Gang quer durch die Schweiz und die österreichischen Alpen zu bewegen. Und der Preis.
Aber die Jungs waren auf jeden Fall cool drauf und haben mir gut geholfen ein taugliches Fahrrad für Billig zu finden. Sie und einige andere symphatische Pariser die ich bei meiner Suche während der naechsten Tage getroffen hab, haben mich wieder aufgebaut, denn zeitweise war ich schon ziemlich demotiviert.

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Fixed Gear Fahrrad. Bremsen? Fehlanzeige.

Nach zwei weiteren Tagen und Besuchen in unzähligen Radgeschäften war ich dann endlich wieder 'on the road'. Und zwar mit einer nicht unsympathischen Neuen - der recht robuste chinesische Drache (gekauft in Kirgistan, aber 100%ig Made in China) wurde also zur eher grazilen französischen Biene, auf der ich mich pudelwohl fühle. Ist nach meiner italienische Ape auch schon die zweite Biene in meinem Besitz und ein hoffentlich gutes Omen für eins meiner Projekte für diesen Sommer: Hab ich doch in Nepal 3 Wochen lang einem Imker über die Schultern geschaut, und den Entschluss gefasst es diesen Sommer mal mit ein paar Bienenvölkern zu probieren...

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Wohin fährt die gelbe Biene? Immer noch Osten!

Doch bevor es richtig losging wollte ich trotz unwirschem Wetter noch dem weltberühmten Bouldergebiet Fontainbleau, ungefaehr 80km südöstlich von Paris einen Besuch abstatten. Drei Tage lang hab ich mir die Finger an den Sandsteinbloecken langgezogen. Danach war mal wieder die Haut auf den Fingerspitzen extrem dünn, das nasse Wetter wurde kletteruntauglich und ich startete am 20. April 2008, genau ein Jahr nach meinem Start in Rosenheim meine letzte grosse Etappe: Paris-München. Soooo gut hat es sich angefühlt wieder unterwegs zu sein und auf dem neuen Rad Richtung Horizont zu rollen.

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Bouldern mit den Franzosen in Fontainbleau

Bei Regenwetter gings also los, quer durch die sehr sehr ländliche Burgogne. Meistens hab ich in meinen in Paris gekauften 20Euro Zelt übernachtet, welches so ziemlich jede Nacht auf Wasserdichtheit getestet wurde; diese Tests aber 1a bestand. Viele Leute getroffen hab ich in den 5 Tagen bis ich hier in Bern angekommen bin nicht, aber die Ruhe der vernieselten, aber frischgrünen Landschaft hatte trotzdem seinen Reiz. Hab nochmal die Zeit genossen, die in Paris auf einmal schon so hektisch und schnell geworden ist wie für mich schon lang nicht mehr. Eine kurze Zeit verbrachte ich mit Pimelles, der dieselbe Richtung wie ich eingeschlagen hatte. Allerdings war er sehr langsam unterwegs, in der Tat sah er aus als wär er schon da seit es Asphalt gibt. Ich hab also kurz für eine Brotzeit angehalten, etwas getrunken, Foto und dann gings weiter.

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Das Ende jenen Tages wurde dann doch noch mal etwas sozialer. In Quingey hatte der Campingplatz geschlossen, aber eine Frau mit Kinderwagen sprach mit an, hatte schon vermutet, dass ich Deutscher bin, weil kein Franzose im April eine Fahrradtour machen würde. Sie war selber aus Stuttgart, hatte aber einen Franzosen geheiratet und beiden wurde der 1000 Seelen-Ort etwas eng. Sie haben mich also spontan eingeladen und so kam ich zu einer schönen warmen Dusche, einem weichen Bett, eher deutsch anmutendem Abendessen mit ordentlichem Vollkornbrot. Hab mich sehr wohl gefühlt bei den beiden und wir sind noch etwas länger gesessen und haben geratscht.

Endlich kam ich der Schweiz auch näher, was sich in häufigeren und steileren Berg- und Talfahrten zeigte. Es galt das Jura-Gebirge zu überqueren. Schöne Kletterfelsen zeigten sich am Strassenrand, aber es regnete sowieso. In meiner billigen Regenjacke wurde ich von innen genauso nass wie aussen, kurz vor meinem frühen Endpunkt für den Tag hatte ich auch noch eine Reifenpanne. War ganz lustig mit den klammen Fingern.
Kaum in der Schweiz wurde das Wetter aber schön und bei Sonnenschein fuhr ich am Donnerstag zu Cyrille in die Schmidiwäge (WG am Schmiedweg). Ich hatte sie ja in Tonsai kennengelernt und ausgemacht das ich vorbeikommen würde. So hab ich die letzten Tage versucht ein bisschen Schwitzerdütsch zu verstehen. Schwierige Angelegenheit, aber mit bayerischem Vorwissen ein erreichbares Ziel denke ich. Klettern war wir auch ein bisschen in der Halle und gestern draussen im Jura. Es war offensichtlich der erste Schönwettersonntag dieses Jahr denn im Klettergarten gings zua wia am Christkindlmarkt.

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Klettern im Jura am Bubikopf

Jetzt bin ich ja schon ein paar Tage in Bern, es gefällt mir echt gut hier, die Stadt funktioniert gut und ziemlich ruhig und gelassen, so wie man es halt erwartet :). Aber schweizerisch genau nehmens manche Leute schon, vor allem die Busfahrer wie ich mit meine nepalesischen Fahrgewohnheiten bemerken musste.
Ausserdem hab ich noch Kerstin, eine Bekannte aus Würzburg getroffen und mit ihrer australischen Freundin und einem chilenischen Freund ne recht gute Rackletparty gefeiert...

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Kriegerische Zeichen

Morgen soll es weitergehen in die Luzerner Gegend, wo ich gleich zwei Freunde zum Couchsurfen habe. Danach ma kucken und auf jeden Fall und so 99,9%ig wie's bei mir momentan geht am Freitag 9. Mai ins Roncalli, Nymphenburgerstr. 99, zum Rückkehr feiern. Wer auch immer Zeit hat die letzten ein/zwei Tage mit mir zu fahren, der schnappe sein Fahrrad und komme mit der Bahn Richtung Kochel und wir radeln gemeinsam nach München zu Gegrilltem und Bier. Genaueres auf email-Anfrage...